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Giulia, ich und der Kater - oder warum wir durch Kunst besser verstehen, wer wir sind

25. Januar 2023 | Yoga & Meditation
Blauer Linolschnitt mit Katze, die sitzend dem Betrachter den Rücken zukehrt, eingebettet in die Natur
Alles Leben fängt das Licht ein, ist eingebettet in die Natur: der Baum, das Feld, der Kater, der Künstler, der Betrachter. (Foto: © Giulia Simeoni)

Bei unserem letzten Treffen im vergangenen Jahr überreichte mir Giulia einen kleinen Umschlag mit diesem hübschen Druck, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich musste sofort Mitgrinsen, weil dieses Bild Giulias feinen Humor so gut zeigt - es ist ihr liebevoller und intelligenter Blick auf die Welt.

Vor der Pandemie hatte sie lange und regelmäßig mit mir trainiert; ich wußte aber nicht viel mehr über sie als dass sie Naturwissenschaftlerin ist und für verschiedenen Forschungsprojekte arbeitet, und dass sie malt und begeistert mit verschiedenen Kunsttechniken experimentiert. Und natürlich, dass sie aus Italien kommt, aber berufsbedingt in München ihren Lebensmittelpunkt hat; sie spricht fließend Deutsch, Englisch und Französisch,  ihr aufgewecktes Naturell und ihr Esprit kommen schon in einem Schmunzeln oder Augenzwinkern beim Zuhörer an.

Mit Hyperschall in eine neue Zeit

Nun lag die Zeit der Pandemie hinter uns, mit Lockdowns und Veränderungen, die wir erst allmählich realisieren. Also die ich erst allmählich realisiere, denn bei Giulia hat sich in dieser Zeit vergleichsweise mit Hyperschallgeschwindigkeit alles verändert. Neulich war sie z.B. Teil der in London Whitechapel kuratierten Ausstellung „Spiel allein“,  organisiert und gefördert vom internationalen Netzwerk Gallery NAT aus amerikanischen, britischen und chinesischen Kunstexperten, akademischen Kunsthistorikern und Museumskuratoren.
 Dort wurde sie als Bildhauerin ausgezeichnet.
 

Ein schöpferischer Kraftakt, der keiner war für sie, eine Explosion an Kreativität und Ausdruck, auf die die von der Pandemie geänderte Gesellschaft endlich aufmerksam und für sie empfänglich werden konnte.

es entwickeln sich Kontakte in der Kunstszene auf der ganzen Welt, Einladungen zu Symposien und Workshops folgen, Auszeichnungen wie der ,Galleria Accademica d‘Arte Contemporaneadi Canale Monterano di Roma’ für Ihre Werke in Malerei und Druckgraphik.

Mit dem kleinen Umschlag und dem Druck überreicht sie mir ihr Kunstbuch mit dem Katalog zu ihrer Ausstellung im Rahmen der Auszeichnung mit ihren eigenen Texten sowie mit Texten der italienischen Professorin für Philosophie und Ästhetik, Prof. Fulvia Minetti. Das Kunstbuch trägt Giulias handschriftliche Widmung für mich: 

Für Moni

Mens Sana in corpore sano.

Danke für die Disziplin, die die Freiheit erlaubt und ermöglicht.

Giulia

Ich bin sprachlos, und Giulia beginnt zu erzählen. Wie gesagt, wir hatten nur lose Kontakt, über unser Training; ich hatte einmal ein kleines Video vom Sonnengruß gedreht, in dem allerdings nicht ich der Hauptakt bin, sondern natürlich mein Kater, wie er mit mir redet, sich unter mir räkelt und mit mir schäkert, während ich versuche mich weiter auf die Übung zu fokussieren. Der Kater gewinnt aber immer, er schnurrt und räkelt sich mit mir.

Giulia sieht das also und schreibt mir sofort: ,Da hast Du es, so versteht doch jeder, worum es geht beim Yoga!‘ Du und der Kater.. und wie ihr miteinander kommuniziert und Euch versteht, jenseits von Worten. Es geht doch gar nicht um die Form, der wir oft die einzige Aufmerksamkeit schenken, sondern um dass, was uns mit der Welt verbindet!‘

,Hier sitze ich, forme Menschen nach meinem Bilde..‘ 

Zitat aus dem ,Prometheus’ von Johann Wolfgang von Goethe, 1773, am Anfang des Kunstbuchs zu Giulias Werken.

Des Menschen Schöpfungskraft und Vermögen zu reflektieren, das Licht einzufangen, hat ihn neue Realitäten abseits der puren Naturgewalten erschaffen lassen. Der Mensch taucht ein in die Welt, die ihn umgibt, und er möchte verstehen und selbst erschaffen.

Giulia experimentiert, formt und erzählt durch ihre Arbeiten über die Geschichte der Menschen in der Welt und wie sie durch Konzeptualisierung die Welt ,fixieren‘, sich selbst überhöhen und dadurch den eigentlichen Kontakt zum intelligenten Spiel des Lebens verlieren. Sie öffnet den Raum, in dem Forschung und Kunst als wissensvermittelnde  und verbindende Disziplinen miteinander Hand in Hand gehen.

Die Kunst, oder in ihrem ursprünglichsten Sinn das Formen von Materie mit den Händen ist für sie ein Schlüssel um erkennbar zu machen, das die Natur aller Dinge das Miteinander von scheinbar physisch oder auch konzeptuell unvereinbaren Gegensätzen ist. In der Geschichte der Wissenschaft und Forschung sind Definitionen, Gegensätze oder Polaritäten zunehmend in den Vordergrund  getreten; die Abspaltung und Abgrenzung, die wissenschaftliche Definition und scheinbare Klarheit und Zielsetzung, die Aneignung und Nutzbarmachung von Materie kann Menschen ihrer eigenen Dimension und Fähigkeit, verantwortungsvoll und mitfühlend zu handeln, berauben. Es ist auch die Kontrastierung eines männlichen Paradigmas mit ihrem weiblichen Blick, das ihre Arbeiten, aber auch ihren Background als hervorragende Naturwissenschaftlerin in einer von Männern dominierten Welt spiegelt. Die Situation unserer Welt zeigt all dies auf: der Mensch, und man darf sagen, die von männlichen Paradigmen bzw. so tradierten Machtstrukturen bestimmte Menschheit, bringt die Ökologie der Erde mit dieser Haltung der Ausgrenzung, Machtaneignung und Ausbeutung an den Rand der Erschöpfung. Im Anthropozän ist scheinbar kein Glück für andere Lebewesen möglich.

Polaritäten als Bezugspunkte verweisen jeweils nur auf das dazwischen, die Verbindung - aber das verlieren wir leicht aus dem Blick

Kunst kann uns von Sprache entbinden und ermöglicht einen neuen inneren und damit auch einen neuen äußeren Diskurs. Giulia ergänzt mit ihren Reflektionen die ästhetische Betrachtung um die Tiefe, die in der handwerklichen Kunst liegt. Was durch ihren Blick entsteht, ist ein neuer Referenzpunkt, einer der die Beziehung aller Dinge zueinander in den Vordergrund stellt.

In ihren einleitenden Worten zu dem Kunstbuch ,Paradigimi di Relazionalità Sostanziale (,Paradigmen substanzieller Relationalität‘‘)  über ihre Werke beschreibt sie ihre Betrachtung so: 

,Nehmen wir mal einen Kegel und eine Kugel. Wir machen einen Querschnitt parallel zur Spitze des Kegels. Dann werden wir zwei Kreisumfänge erhalten, was auch der Grund dafür ist, warum die gefrorene Eiskugel nicht aus der Waffel fällt. Wenn wir bei diesem experimentellen Nachweis stehen bleiben - dass beide Querschnitte kreisförmig sind - dann könnten wir daraus folgern, dass Kegel und Kugel nicht unterscheidbar sind. Wenn wir aber stattdessen einen vertikalen Schnitt gemacht hätten, so hätten wir schlussfolgern können, dass diese beiden Körper nichts gemeinsam hätten. Diese beiden Experimente sind gleichermaßen wahr und gleichermaßen unvollständige Erfahrungen; nicht unvereinbar, aber eine Herausforderung, sie ohne weitere Erfahrung miteinander zu verbinden. Vorurteile, die dadurch entstehen, dass wir Teilwahrheiten zu universellen Wahrheiten erheben, legen uns auf bestimmte Ausgangspunkte unserer Beobachtung fest und verhindern, dass wir Wahrheiten einer höheren Ordnung erkennen. (…)‘

Das Kunstbuch eröffnet auf erstaunliche Weise den natur- sowie geisteswissenschaftlichen Kontext für unsere unbewußt geprägte Wahrnehmung der Welt und den Umgang mit ihr - so viele interessante Beziehungen und tiefe Erkenntnismomente tun sich beim Lesen  auf - und man beginnt, die Werke der Künstlerin nochmal mit ganz anderen Augen zu sehen. Die Darstellung von Licht und Schatten, Farbgebung und Verwendung von Technik und Materialien spiegeln ihr Wissen um die Qualitäten der Stoffe und ihre Experimentierfreude wieder.

Ihre Arbeiten werden in  ihrer Kraft auf den Betrachter des öfteren verglichen mit denen der großen Expressionisten und es ist gerade ihr gleichsam Renaissance-artiges Herangehen an die Kunst, das fasziniert: Umfangreich gebildet, aber auf ihre Weise frei von Dogmen sucht und findet sie im Schaffen Erkenntnis und ist auf dem wohl spannendsten Weg, den wir als Menschen beschreiten können: dem des erwachten Bewusstseins, dass sich selbst und alles Leben voll Respekt erfährt und selbst verstehen möchte, sich ausdrückt und andere dazu einlädt, dies auch zu tun. Dabei möchte sie nicht Halt machen bei einem künstlerischen Genuss, sondern sie spornt den Betrachter an, in die Tiefe zu gehen, zu begreifen und dadurch eine neue Haltung zu gewinnen und vielleicht sogar das eigene Potential zu ergründen.

Die Künstlerin Giulia Simeoni, dunkelhaarige Frau mit grünen Augen blickt lächelnd in die Kamera
Wie wir in die Welt blicken, so scheint sie auf uns - die Künstlerin Giulia Simeoni (© Giulia Simeoni)

 

Neue Erfahrungen sammeln, den Körper anerkennen als das Instrument der Wahrheit und der Mitte aller Erfahrung

Giulia Simeoni blickt nicht nur zurück auf eine internationale akademische Karriere, auf Forschungstätigkeiten, Lehrtätigkeit und Arbeiten als wissenschaftliche Journalistin. Ihr Forschungsfeld umfasst die Physik um 360°: Thermodynamik, Geowissenschaften, Ozeanographie, Biologie, erneuerbare Energien, Elektromagnetismus, Methodenentwicklung zur Erkundung des Weltraums.
Darüberhinaus hat sie sich seit langem auch in anderen Richtungen als multidisziplinare Künstlerin intensiv fortgebildet und sich mit den unterschiedlichen Aspekten der bildenden und darstellenden Kunst auseinandergesetzt.

Giulia liebt Sport und das Tanzen, sowie Yoga und Pilates - denn nur mit dem Körper erfahren und verstehen wir alles und können sogar Prägungen oder Traumata überwinden, denn die direkte Erfahrung des Körpers und Atems kann uns befreien.

Mehr  zu Giulia Simeonis Arbeiten und Kontakte:

» www.studio-arte.it

» www.studio-arte.store 

» ,Paradigimi di Relazionalità Sostanziale / Paradigms of substantive relationality‘, Opere die G.G. Simeoni, Ikonos Editore (Bergamo, Italien)

Das zweisprachige (It./Engl.) Kunstbuch inkl. Katalog kann für Deutschland direkt auf der Webseite der Künstlerin durch das entsprechenden Kontaktformular bestellt werden.


    
  

Bildnachweis Titelbild: © Giulia Simeoni

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Portrait von Monika Schindlbeck

Ich bin Monika Schindlbeck und als Bewegungstrainerin möchte ich Dich dabei unterstützen, gesund, kraftvoll und voller Elan zu leben. Als zertifizierte Yogalehrerin und Pilatestrainerin liebe ich die Abwechslung im Training und schwöre auf Konzentration und Verstehen als Schlüssel zum Erfolg.

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